Wie mag er aussehen?
Wer hat zum Steuerbogenformular
den Text erfunden?
Ob der in jenen Stunden,
da er dies Wunderwirr gebar,
wohl ganz --- oder total --- war?
Du liest den Text. Du sinnst. Du spinnst.
Du grinst - "Welch Rinds" - Und du beginnst
wieder und wieder. Eisigkalt
kommt die Vision dir "Heilanstalt".
Für ihn? Für dich? - Dein Witz erblaßt.
Der Mann, der jenen Text verfaßt,
was mag er dünkeln oder wähnen?
Ahnt er denn nichts von Zeitverlust und Tränen?
Wir kommen nicht auf seine Spur.
Und er muß wohl so sein und bleiben.
Auf seinen Grabstein sollte man nur
den Text vom Steuerbogen schreiben.
Joachim Ringelnatz
Kinder, ihr müßt euch mehr zutrauen !
Kinder, ihr müßt euch mehr zutrauen!
Ihr laßt Euch von Erwachsenen belügen
Und schlagen. - Denkt mal : fünf Kinder genügen,
Um eine Großmama zu verhauen.
Christian Morgenstern
Der Hecht
Ein Hecht, vom heiligen Anton
bekehrt, beschloss, samt Frau und Sohn,
am vegetarischen Gedanken
moralisch sich emporzuranken.
Er aß seitdem nur noch dies:
Seegras, Seerose und Seegrieß.
Doch Grieß, Gras, Rose floß, oh Graus,
entsetzlich wieder hinten aus!
Der ganze Teich war angesteckt,
fünfhundert Fische sind verreckt.
Doch Sankt Anton, gerufen eilig,
sprach nichts als : "Heilig,heilig, heilig"
Christian Morgenstern
Galgenbruders Lied an Sophie, die Henkersmaid
Sophie, mein Henkersmädel,
komm küsse mir den Schädel!
zwar ist mein Mund
ein schwarzer Schlund,
doch du bist gut und edel
Sophie mein Henkersmädel,
komm streichle mir den Schädel,
zwar ist mein Haupt
des Haars beraubt
doch du bist gut und edel.
Sophie, mein Henkersmädel,
komm schau mir in den Schädel,
die Augen zwar,
die frass der Aar,
doch du bist gut und edel!
Christian Morgenstern
Brief einer Klabauterfrau
Mein lieber und vertrauter Mann,
Entsetzlieber Klabautermann,
Ich danke dir, für was du schreibst
Und dass du noch vier Wochen bleibst.
Die Marfa ist ein schönes Schiff,
Vergiss nur nicht das Teufelsriff.
Ich lebe hier ganz unnervos,
Denn auf der Elbe ist nichts los.
Bei einem Irrlicht in der Näh
Trink manchmal ich den Fünfuhrtee,
Doch weil sie leider Böhmisch spricht,
Verstehen wir einander nicht.
1.6.04 Stadt Trautenau
Deine getreue Klabauterfrau
Christian Morgenstern
Es ist Nacht,
und mein Herz kommt zu dir,
hält's nicht aus,
hält's nicht aus mehr bei mir.
Legt sich dir auf die Brust,
wie ein Stein,
sinkt hinein,
zu dem deinen hinein.
Dort erst,
dort erst kommt es zur Ruh,
liegt am Grund
seines ewigen Du.
Joachim Ringelnatz
Die Katze
Komm, schöne Katze, an mein Herz,
Doch ziehe ein die scharfen Klauen;
Lass mich in Deine Augen schauen,
In Augen aus Achat und Erz.
Wenn ich Dich dann geruhsam streichle,
Am Kopf und auf dem schlanken Rücken,
So bebt die Hand mir vor Entzücken,
Auf dass ich Dich noch mehr umschmeichle.
Im Geiste seh' ich die Frau in Dir;
Ihr Blick gleicht deinem, liebes Tier.
Er geht mir weh durch Mark und Bein.
Vom Fuß zum Haupte hüllt Dich ein
Ein feiner Hauch; gefährlich, schnell
Entströmt er Deinem braunen Fell.
Charles Baudelaire (1821-1867)
Die Katze
In meinem Hirn, als wär's ihr eigner Raum,
Schleicht auf und nieder auf der weichen Tatze
Geschmeidig sanft die schöne, stolze Katze.
Und ihrer Stimme Tun vernimmt man kaum.
So zart und heimlich ist ihr leis' Miauen.
Und ob sie zärtlich, ob sie grollend rief,
Stets ist der Klang verhalten, reich und tief
Und Zauber weckend und geheimes Grauen.
Die Stimme, die schwere Perlen sank
In meines Wesens dunkle Gründe nieder,
Erfüllt mich wie der Klang der alten Lieder,
Berauscht mich wie ein heißer Liebestrank.
Sie schläfert ein die grausamsten Verbrechen,
Verzückung ruht in ihr. Kein Wort tut not,
Doch alle Töne stehn ihr zu Gebot
Und alle Sprachen, die die Menschen sprechen.
Auf meiner Seele Saitenspiel ließ nie
Ein andrer Bogen so voll Glut und Leben
Die feinsten Saiten schwingen und erbeben,
Kein anderer so königlich wie sie,
Wie deine Stimme, rätselvolles Wesen,
Seltsame Katze, engelsgleiches Tier,
Denn alles, Welt und Himmel, ruht in ihr,
Voll Harmonie, holdselig und erlesen.
Charles Baudelaire (1821-1867)
Wenn es soweit ist
Bin ich dereinst
gebrechlich und schwach
und quälende Pein hält ständig mich wach -
was Du dann tun mußt - tu es allein.
Die letzte Schlacht wird verloren sein.
Daß du sehr traurig, verstehe ich wohl.
Deine Hand vor Kummer nicht zögern soll.
An diesem Tag - mehr als jemals geschehn -
muß Deine Freundschaft das Schwerste bestehn.
Wir lebten zusammen in Jahren voll Glück.
Furcht vor dem Muß? Es gibt kein Zurück.
Du möchtest doch nicht, daß ich leide dabei.
Drum gib, wenn die Zeit kommt, bitte mich frei.
Begleite mich dahin, wohin ich gehn muß.
Nur - bitte bleibe bei mir bis zum Schluß.
Und halte mich fest und red mir gut zu,
bis meine Augen kommen zur Ruh.
Mit der Zeit - ich bin sicher - wirst Du es wissen,
es war Deine Liebe, die Du mir erwiesen.
Vertrauendes Schnurren ein letztes Mal -
Du hast mich befreit von Schmerzen und Qual.
Und gräme Dich nicht, wenn Du es einst bist,
der Herr dieser schweren Entscheidung ist.
Wir waren beide so innig vereint.
Es darf nicht sein, daß Dein Herz um mich weint.
anonym
Die Liebenden
Sieh jene Kraniche in großem
Bogen!
Die Wolken, welche ihnen beigegeben
Zogen mit ihnen schon, als sie entflogen
Aus einem Leben in ein andres Leben
In gleicher Höhe und mit gleicher Eile
Scheinen sie alle beide nur daneben.
Daß so der Kranich mit der Wolke teile
Den schönen Himmel, den sie kurz befliegen
Daß also keines länger hier verweile
Und keines andres sehe als das Wiegen
Des andern in dem Wind, den beide spüren
Die jetzt im Fluge beieinander liegen
So mag der Wind sie in das Nichts entführen
Wenn sie nur nicht vergehen und sich bleiben
Solange kann sie beide nichts berühren
Solange kann man sie von jedem Ort vertreiben
Wo Regen drohen oder Schüsse schallen.
So unter Sonn und Monds wenig verschiedenen Scheiben
Fliegen sie hin, einander ganz verfallen.
Wohin ihr? Nirgendhin. Von wem davon? Von allen.
Ihr fragt, wie lange sind sie schon beisammen? Seit kurzem.
Und wann werden sie sich trennen? Bald.
So scheint die Liebe Liebenden ein Halt.
Bertold Brecht
Fragen eines lesenden Arbeiters
Wer baute das siebentorige
Theben?
In den Büchern stehen die Namen von Königen.
Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?
Und das mehrmals zerstörte Babylon –
Wer baute es so viele Male auf? In welchen Häusern
des goldstrahlenden Lima wohnten die Bauleute?
Wohin gingen an dem Abend, wo die Chinesische Mauer fertig war
die Maurer? Das große Rom
ist voll von Triumphbögen. Wer errichtete sie? Über wen
triumphierten die Cäsaren? Hatte das vielbesungene Byzanz
nur Paläste für seine Bewohner? Selbst in dem sagenhaften Atlantis
brüllten in der Nacht, wo das Meer es verschlang
die Ersaufenden nach ihren Sklaven.
Der junge Alexander eroberte Indien.
Er allein?
Cäsar schlug die Gallier.
Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?
Philipp von Spanien weinte, als seine Flotte
untergegangen war. Weinte sonst niemand?
Friedrich der Zweite siegte im siebenjährigen Krieg. Wer
siegte außer ihm?
Jede Seite ein Sieg.
Wer kochte den Siegesschmaus?
Alle zehn Jahre ein großer Mann.
Wer bezahlte die Spesen?
So viele Berichte.
So viele Fragen
Bertold Brecht
Die Entwicklung der Menschheit
Einst haben die Kerls auf den
Bäumen gehockt, Da saßen sie nun, den
Flöhen entflohn, Sie hören weit. Sie sehen
fern. Sie schießen die
Briefschaften durch ein Rohr. Was ihre Verdauung
übrigläßt, So haben sie mit dem Kopf
und dem Mund
Erich Kästner
Der Handstand auf der Loreley (Nach einer wahren Begebenheit) Die Loreley, bekannt als
Fee und Felsen, Erich Kästner
Zeitgenossen, Haufenweise Es ist nicht leicht, sie
ohne Haß zu schildern, Erich Kästner
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